Unsere Stillgeschichte

Ich habe mich während der Schwangerschaft über viele Dinge informiert. Aber ich muss ehrlich zugeben, dass Stillen kein Teil davon war. Das war etwas, bei dem ich ganz darauf vertraute, dass mein Körper das schon richtig machen würde. Was ich prinzipiell ja nicht falsch finde. Aber dennoch hätte mir ein bisschen Einlesen in die Materie vielleicht nicht geschadet.
Sofort nach der Geburt wurde mir mein Sohn auf den Bauch gelegt und kurze Zeit später fing er schon an, die Brust zu suchen. Mir schien in dem Moment alles noch ganz einfach. Vielleicht war ich noch high vom Lachgas.

Stillprobleme und Verunsicherung von Anfang an

In der weiteren Nacht klingelte ich, sobald sich der Kleine rührte, immer nach einer Schwester, die mir beim Anlegen helfen sollte. Niemand hatte mir bisher die richtige Anlegetechnik gezeigt, also ging ich davon aus, dass das noch kommen würde. Es waren immer unterschiedliche Schwestern, aber sie alle nahmen meine Brust in die Hand wie ein Stück Fleisch und drückten es meinem Sohn in den Mund.
Am nächsten Tag bekam ich jede Menge Informationsblätter, darunter auch einen Zettel, auf dem ich ankreuzen konnte, zu welcher Uhrzeit und wie oft am Tag ich mein Baby fütterte. Endlich wurde mir auch offiziell gesagt, was normal wäre und mit welchem Abstand ich stillen sollte, nämlich am besten nach Bedarf. Und ab jetzt wuchs meine Unsicherheit von Tag zu Tag.
Mein Sohn entsprach von Anfang an nämlich keinem der vorgegebenen Standards. Eine normale Stillmahlzeit solle angeblich 15 - 45 Minuten dauern. Bei uns waren es höchstens mal 10, wenn's gut lief. Verunsichert teilte ich das den Schwestern mit, woraufhin sie oft neben mir stehen blieben und versuchten, ihn durch Kitzeln an der Wange, am Kinn oder im Nacken zum Trinken zu animieren, sobald er sich ein kleines Päuschen beim Nuckeln erlaubte. "Da haben wir aber einen müden Krieger", murmelte eine vor sich hin während sie dies tat. Das gab mir das Gefühl, dass etwas nicht in Ordnung war mit meinem Kind, dass er nicht normal war. Wieso trank er nicht länger?
Mein Mann hat dann online mal zumindest nach der richtigen Anlegetechnik gegoogelt und ich habe versucht, diese umzusetzen. So kam ich übrigens auch zu meinem kompletten weiteren Stillwissen im Laufe der nächsten Wochen - durch Google. Aber gut, zurück zum Krankenhaus.
Nachdem ich die erste Nacht schon nicht geschlafen hatte (allerdings vor Freude und Aufregung über die Geburt), verbrachte ich auch die zweite Nacht im Krankenhaus schlaflos. Diesmal war der Grund, dass ich ständig stillen musste, weil mein Kleiner, sobald ich ihn wieder ins Bettchen legte, zu schreien anfing. Ich war fix und fertig und schaffte es nicht mal, mir am nächsten Morgen im Frühstücksraum etwas zu essen zu holen. Ich war einfach zu kaputt.

Zwangsernährung wegen zu hohem Gewichtsverlust?

Dies ging auch die dritte Nacht so, obwohl mein Mann mit allen Mitteln versuchte, mir die Möglichkeit zum Schlafen zu geben. Er beschäftigte unseren Sohn irgendwie, jedoch war er einfach noch zu klein und nach spätestens zwei Stunden fing er so laut an zu schreien, dass ich aus meinem Halbschlaf wieder aufwachte. Ich war mittlerweile sowieso so fertig, dass ich vor lauter Sorgen nicht schlafen hätte können. Bei der U2 hatte unser Baby nämlich so an Gewicht verloren, dass die Hebammen im Kreißsaal schon von Zwangsernährung sprachen. Ich hasste meinen Körper, weil er offensichtlich nicht in der Lage war, mein Kind zu versorgen. Was war falsch mit mir?
Die ersten Tage nach der Geburt sollte das Baby besonders häufig angelegt werden, weil der Milchfluss dadurch angeregt wird. Es kam also quasi kaum was raus während sich das Baby aber bis zur Ermüdung anstrengen musste. Aber wieso ließ die Natur ein Neugeborenes so lange hungern?
Mittlerweile waren meine Brüste, insbesondere die Brustwarzen, auch schon sehr in Mitleidenschaft gezogen worden. Jedes Anlegen tat weh und ich hatte jedes Mal Angst vor dem nächsten Stillen. An Tag 3 im Krankenhaus war es sogar so schlimm, dass ich vor Schmerzen in Tränen ausbrach, während mein Sohn trank. Meine Brustwarzen waren entzündet und die Salbe, die mir eine Hebamme gab, brachte gleich Null. Eine Schwester versuchte es mit Kompressen bei mir, diese halfen aber auch nur bedingt. Nur die Quarkwickel, die mir eine besonders liebe Krankenschwester angeboten hatte, waren eine echte Wohltat. Nur war es da schon etwas zu spät, die Schmerzen sollten noch einige Tage bleiben.

Pump it!

Dann war endlich Montag und die Stillberaterin war wieder im Krankenhaus. "Ich habe noch nie so viele weinende Frauen auf einem Haufen gesehen", hatte mein Mann erzählt. Und es stimmte. Scheinbar hatte nicht nur ich ein Problem mit dem Stillen. Vor mir bildete sich eine Schlange und alle wollten sie zur Stillberatung. Ich sollte am Nachmittag wieder kommen. Da ging ich dann sofort hin und hoffte auf Hilfe. Gut war, dass sie sich meine entzündeten Brustwarzen nur kurz angesehen hat und sofort wusste, was mir helfen könnte. Kühlende Pads waren die Lösung und wirklich das Einzige, was mir dauerhaft geholfen hat. Schlecht war, dass sie mich noch einen weiteren Tag zur Beobachtung dabehalten wollte. Dies hat mich vielleicht etwas zu traurig gemacht, wollte sie uns doch nur helfen.
Ich sollte den restlichen Tag über in regelmäßigen Abständen abpumpen, um so den Milchfluss zu fördern. So saß ich also da und pumpte eine beachtliche Menge Milch ab. Zum ersten Mal konnte ich so sehen, dass durchaus Futter für meinen Sohn vorhanden war und zwar nicht wenig. Aber beim Trinken an der Brust war er weiterhin "faul" und gab nach 5 Minuten meist vor Erschöpfung auf. Brustmassage wurde mir gezeigt, aber da zu dem Zeitpunkt mein Baby bereits etwas mehr als 10% seines Geburtsgewichts verloren hatte, wurde ihm meine Milch nun mit der Sonde verabreicht. Er hatte wohl mittlerweile einen derartigen Hunger, dass der Laktationsberaterin dies als beste Lösung fürs Erste erschien, bis er auch allein durch Saugen in der Lage war, eine ordentliche Menge aus meinen Brüsten herauszuschlürfen.
Als er dann in der darauffolgenden Nacht wieder nicht ordentlich trinken wollte, klingelte ich der Nachtschwester, um sie darum zu bitten, mit der Sonde zuzufüttern, während ich ihm die Brust gab. Mein Sohn bekam also gleichzeitig die Brust und einen dünnen Schlauch in den Mund. Durch den Schlauch sollte er sofort und ohne große Anstrengung Nahrung bekommen und so zum Trinken an der Brust animiert werden. Es wurde nämlich vermutet, dass er bereits immer aufgab, bevor der Milchfluss überhaupt in Gang gesetzt wurde. Das dauert ja selbst Monate später immer noch ein paar Züge lang. So hatte ich es bei der Stillberatung gelernt und so sollte ich es weiterhin versuchen, solange, bis er die Brust auch alleine nahm. Die rabiate Schwester, die am Vortag meinen Sohn durch die Blutabnahme bereits zum Weinen gebracht hatte, gab jedoch relativ schnell auf (oder war einfach unfähig), woraufhin ich das letzte bisschen Vertrauen in die Schwestern verlor. Ich schickte sie raus und versuchte es auf eigene Faust und siehe da - er saugte, während ich zusätzlich die Sonde in seinen Mund einführte. Dieses kleine Erfolgserlebnis in diesem Moment motivierte mich ungemein. Jetzt brauchten wir nur noch am nächsten Morgen die Bestätigung der Stillberaterin, dass er in der Lage war, selbstständig genug zu trinken.

Google ist meine Hebamme

Positiv geladen ging ich also morgens in ihr Büro und teilte ihr das Gewicht meines Sohnes vor und nach dem Stillen mit. "Das ist zu wenig", zerstörte sie meinen Optimismus. Wir wurden dennoch an diesem Tag entlassen, ich sollte ihn jedoch weiterhin oft anlegen. Aber ab diesem Punkt war ich auf mich allein gestellt und ich hatte, um ehrlich zu sein, einen kleinen psychischen Schaden von diesem ganzen Stillwahnsinn davon getragen. Ich googelte wie wild Dinge wie "Milchfluss fördern", "Kind trinkt zu wenig" und "Woran erkenne ich, ob mein Baby dehydriert?". Ich war wie versessen darauf, sein Gewicht zu kontrollieren, was meinen Mann schon ganz wahnsinnig machte. Der vertraute übrigens die ganze Zeit über darauf, dass mein Körper das schon hinbekommen würde, schlug aber gleichzeitig vor, dass wir auch Fläschchen geben könnten, wenn mich das Stillen psychisch oder körperlich zu sehr belastet. Ich wollte es aber unbedingt schaffen und wollte nicht aufgeben. Die Schmerzen sollten ja auch nicht umsonst gewesen sein. Für mich waren die kommenden Wochen trotzdem eine Zeit der Angst und Unsicherheit.
Ich trank - auch wenn es erwiesenermaßen nicht wirklich was bringt - brav meinen Stilltee (den ich übrigens wohl im Gegensatz zu der Mehrheit ziemlich lecker fand), lief eigentlich nur noch nackt durch die Wohnung (wieso sollte ich mir was anziehen, wenn ich eh alle paar Minuten stillen musste?) und legte meinen Sohn an, wann immer er nur den kleinsten Mucks machte.
Der einmalige Besuch der Hebamme gab mir zwar im ersten Moment Zuversicht, musste ich meinem Kleinen doch scheinbar die Brust nicht mehr aktiv in den Mund stecken, da er wohl bereits selbst in der Lage war anzudocken, jedoch verunsicherte mich genau das in den kommenden Tagen. Es war nämlich tatsächlich nur ein Zufall, dass er in diesem jungen Alter von einer Woche selbstständig die Brust nahm. Dies wiederholte sich die nächsten Wochen nicht wieder, jedoch war ich durch die Hebamme nun der Ansicht, das müsse jetzt funktionieren. Erneut war ich der Verzweiflung nahe. Wieso schaffte mein Sohn es nicht alleine? Auch die immer noch kurzen Stillzeiten, die ich akribisch notierte, gaben mir ein weiterhin schlechtes Gefühl.

Aufs Baby einlassen

Mit der Zeit und über die Wochen kapitulierte ich dann aber. Ich akzeptierte, dass mein Sohn weiterhin Hilfe beim Trinken brauchte, legte ihn wieder hin, wenn er auch nach nicht einmal zwei Minuten mehr oder weniger starkem Trinken aufhörte und verabschiedete mich von der Vorstellung einer perfekten Stillbeziehung. Die Kinderärztin hatte bei der nächsten Untersuchung nichts an seinem Gewicht auszusetzen. Ich teilte ihr zwar unsere Stillprobleme mit, jedoch fand sie daran überhaupt nichts Merkwürdiges. Meine Ängste legten sich danach etwas und ich hörte auch irgendwann auf, die Zeit beim Stillen zu stoppen.
Ich habe nach ein paar Monaten (aus Angst vor einer Saugverwirrung erst so spät) auch mal abgepumpt, damit der Papa für die Nächte ein Fläschchen parat hat, wenn ich mal durchschlafen möchte. Das hat auch funktioniert, aber die Vorteile des Stillens überwiegen für mich eindeutig.

Der Springbrunnen-Effekt

Als der Milcheinschuss nach ein paar Tagen so richtig bei mir einsetzte, kam regelmäßig so viel Milch herausgeschossen, dass mein Kleiner gar nicht mehr damit klar kam. Anfangs machten wir uns noch Sorgen, weil er sich oft dadurch verschluckte und einen Hustenanfall bekam. Aber so geht es wohl vielen Babys und irgendwann konnten wir über den Springbrunnen lachen, der das erschöpfte Babygesicht nach dem Loslassen der Brustwarze weiter mit Milch besprenkelte, wenn man den Still-BH nicht rechtzeitig wieder zumachte. Bis ich die für mich richtigen Stilleinlagen gefunden hatte, vergingen außerdem einige Nächte, in denen ich oft in einem See aus meiner eigenen Milch aufwachte. Gegen den starken Milchstrom half uns übrigens Stillen im Liegen bzw. Laid-Back Nursing zumindest ein wenig.
Angeblich sollte das Stillen ja nach ein paar Tagen, spätestens nach wenigen Wochen nicht mehr schmerzen. Bei mir dauerte es Monate, bis ich mich an das unangenehme Ziepen gewöhnt hatte. Ich zitiere die Ärztin, die mir beim Entlassungsgespräch auf mein Gejammere geantwortet hatte: "Man gewöhnt sich an alles." Stimmt. Manche früher, andere später. Ich könnte aber niemals beim Stillen einschlafen, wie es ja oft für müde Mamas in der Nacht empfohlen wird.

Konkrete Zahlen

Weitere Wochen später fing ich wieder an, aber aus reinem Interesse und nicht aus Angst, mir die Zeiten zu notieren.

Im 1. Monat wurde, wie bereits erwähnt, noch mindestens stündlich mit einer jeweiligen Trinkdauer von etwa 5 Minuten angelegt, auch nachts.
Im 2. Monat wurde im Durchschnitt 20 mal pro Tag (und Nacht) an der Brust getrunken, wobei sich die Trinkdauer auf 6 Minuten erhöht hatte. Nachts wurde zwar auch noch regelmäßig gestillt, allerdings danach sofort weiter geschlafen.
Im 3. Monat wurde in etwa 15 mal pro Tag gestillt mit jeweils 8 Minuten Trinkdauer.
Im 4. Monat gab es, diesmal sogar vermehrt nachts, 12 Stillsessions mit jeweils 10 Minuten Dauer.
Und im 5. Monat wurde noch 8 - 9 mal gestillt. Dabei schwankte die Trinkdauer teilweise extrem von 10 - 45 Minuten. Leider war dies nach dem 1. Monat der schwerste bisher, da nachts wieder häufiger stündlich angelegt werden musste und an Weiterschlafen danach meist nicht mehr zu denken war. Dies hatte aber wohl eher mit Wachstumsschüben oder vielleicht auch dem ersten Zahn zu tun.

Wenn man mal grob überschlägt, stillt man also in den ersten paar Monaten je zwischen 1,5 bis 3 Stunden pro Tag, aber halt nicht am Stück. Kein Wunder, dass man zu nichts anderem mehr kommt.

Auch wenn das Stillen für uns anfangs anstrengend, zehrend und frustrierend war, gab es auch immer wieder lustige und schöne Momente, die ich hier keinesfalls unter den Tisch fallen lassen will. Das Schönste ist natürlich, wenn das Baby mit ein paar Monaten den Blickkontakt beim Stillen sucht. Oft wird dann eine kurze Pause gemacht, um mich anzugrinsen und im Anschluss wird zügig weiter getrunken. Ein paar Wochen später ist es dann schon in der Lage, an der Bluse herumzufummeln im Versuch, die Brust freizulegen. Fand ich persönlich ziemlich witzig. Vielleicht denke ich darüber in ein paar Monaten anders, wenn es dann nicht mehr nur beim Versuch bleibt.
Ich schreibe jetzt diese Zeilen und mein Baby ist genau 5 Monate alt. Übers Stillen mache ich mir schon länger keine großen Gedanken mehr. Ich weiß, dass mein Körper es kann und ich weiß, dass die Milch nicht einfach so weniger wird und wenn doch, regelt mein Kleiner das schon ganz gut selber durch häufigeres Anlegen. Ich habe letztendlich nur einen essenziellen Tipp für alle (ver)zweifelnden Mütter: Lasst euch nicht verunsichern von fragwürdigen Aussagen und vertraut auf euch selbst und euer Baby. Das braucht Zeit und kostet Nerven, aber ich finde, dass ich aktuell meiner Vorstellung einer perfekten Stillbeziehung doch ziemlich nahe gekommen bin. Update folgt sobald ich abgestillt habe.

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